Lollis für alle! - Umsonstladen in Göttingen

Erschienen in der Reihe ‘Gratisökonomie in Göttingen‘ im Zusammenhang Nr. 22/Okt 2009

Ohne Geld geht nichts. Das ist wohl eine der bedeutendsten Wahrheiten, die ein Kind in unserer Gesellschaft beigebracht bekommt, wenn es sich im Supermarkt nach dem leckeren Lolli ausstreckt und von seinen Eltern mit Hinweis auf das leere Portemonnaie zurück gepfiffen wird.

Ohne Geld geht nichts. Das ist es auch, was Studierende lernen sollen, wenn sie zum Semesterbeginn ihre letzten Euros zusammenkratzen müssen, um auch im nächsten Semester studieren zu dürfen. Das fehlende Geld in den Kassen der staatlichen Haushalte ist ja dann auch, was dafür her halten muss, dass keiner der vielen Wünsche in Erfüllung gehen kann, die so an die Gesellschaft gestellt werden: Die Lohnabhängigen sollen mehr arbeiten, und dafür immer weniger bekommen – auch 1 Euro die Stunde soll okay sein. Arbeitslosen wird seit Hartz IV so gut wie gar nichts mehr zu gestanden, die Bildungseinrichtungen sollen bluten und das staatliche Mittel auch für soziale Projekte oder etwa Jugendzentren da sein könnten, ist auch nur noch eine Idee von „linken Spinnern“, die das mit den leeren Kassen wohl noch nicht verstanden haben. Die Gürtel werden also allenthalben enger geschnallt – weil „kein Geld“ mehr da ist.

Nun wundert sich, wer mal die Geld-Brille absetzt und feststellt, wie das Kind, das den Lolli anstrahlt, dass die Supermärkte doch voll sind von so vielen tollen Dingen, die man gerne hätte. Ja, sollte es nicht gerade der Segen der Marktwirtschaft sein, dass immer mehr nützliche Dinge immer effizienter, d.h. in immer weniger Zeit mit immer weniger Aufwand hergestellt werden können? Müsste dann nicht eigentlich immer mehr für alle da sein, müssten wir nicht alle in Lollis versinken? Das tun wir auch, nur lutschen dürfen wir nicht – wir können sie ja nicht bezahlen. Das ist wohl die andere Seite dieser „Marktwirtschaft“: Zwischen uns und den nützlichen Dingen steht ja immer diese unsichtbare Barriere, dieses Etwas, gehießen „Finanzierung“.

Klingt alles ziemlich widersprüchlich, ist es auch. Diesen Widerspruch auf den Punkt gebracht haben schon viele, vor langer Zeit z.B. einmal ein kluger Typ namens Karl Marx. Der hat sich das mal genauer angeguckt und dann festgestellt, dass so viele Menschen immer ärmer werden, obwohl, wie die damaligen Ökonomen schon versprachen, der Reichtum im Kapitalismus – ein passenderer Name für diese „Marktwirtschaft“ – immer größer werden würde. Der hat das dann so beschrieben, dass Reichtum im Kapitalismus zwei Seiten hat: Die vielen nützlichen Dinge, also die Lollis und solche Sachen, nannte er „stofflichen Reichtum“, die Form allerdings, worin Reichtum im Kapitalismus besteht, den „Wert“. Dieser Wert, der nichts anderes als verausgabte Arbeitszeit ist, und, so wie Marx das nannte, im Geld erscheint, ist es dann aber, um den sich im Kapitalismus alles dreht: Aus Wert soll mehr Wert werden, aus Geld mehr Geld.

Die einzelnen Menschen, die dann dafür zuständig sind aus Geld mehr zu machen, wollen und müssen natürlich besser sein im Mehr-Geld-Machen als die anderen, und so versuchen sie mehr Lollis in weniger Zeit, also mit weniger Arbeit, herzustellen. Die andern sind nicht dumm und machen das dann nach, und schon haben wir viel mehr Lollis, aber viel weniger Wert – weil weniger Arbeitszeit, die dafür verausgabt werden musste. Mehr stofflicher Reichtum also, aber weniger Wert. Um dann noch mehr Wert zu machen, müssen also nicht nur effizientere Lollis, sondern auch gleich viel mehr Lollis hergestellt werden. Das ist dann der Grund, warum es immer mehr Lollis, also stofflichen Reichtum, gibt, der sich aber in immer weniger Geld, also dem Darstellungsmedium von Wert, darstellen lässt. Der Widerspruch ist also der zwischen dem stofflichen und den wertförmigen Reichtum.1

Wenn jetzt aber wegen der viel effizienteren Lollis immer weniger Arbeit notwendig ist, also wertförmiger Reichtum weniger wird, dann wird das auf der einen Seite mit dem Geldvermehren schwierig, auf der anderen gibt‘s immer weniger, die für das Arbeiten so bezahlt werden können, dass sie sich die Lollis kaufen könnten. Dann gibts zwar Lollis, aber kein Geld dafür - das Kind muss trotzdem weinen. Wenn die Lollis dann niemand kaufen kann, dann wird‘s mit dem Geldvermehren noch schwieriger und immer so weiter, bis irgendwann gar nichts mehr geht. Marx nannte das Krise – und so eine haben wir gerade. Statt allen die Lollis zu geben und sie lutschen zu lassen, lässt man sie, weil niemand Geld dafür hat, lieber abwracken, so wie das mit den Autos neulich gemacht wurde, damit das mit dem Geld irgendwie wieder hinkommt. Aber so richtig funktioniert das auch nicht auf Dauer und sinnvoll ist es erst recht nicht – gehts dabei doch nur um das sinnlose Geldvermehren, aber um die Bedürfnisse der Menschen wohl kaum.

Mit Geld geht also irgendwann gar nichts mehr. „Vielleicht gehts ja doch ohne“, dachten sich einige. Nur müsste statt dass alle nichts kaufen können, man halt aufhören mit dem Kaufen. Ohne Geld geht also doch so Einiges, man müsste nur mal ausprobieren, wie. Die sich das gedacht haben, haben dann auch mal angefangen das auszuprobieren – auch hier in Göttingen. Und wie das so gehen könnte, wollen wir euch in dieser Reihe vorstellen.

Letztes mal wurde euch bereits gezeigt, wie Nutzer*Innen-Gemeinschaften funktionieren, die statt ihre Probleme über Geld zu lösen, lieber ihre Fähigkeiten und Dinge einfach direkt zur Verfügung stellen.2 Dieses mal erfahrt ihr mehr über den Umsonstladen im Juzi, in dem niemand weinen muss, wenn er*sie dort etwas sieht, was ihr gefällt.

Umsonstladen Göttingen

In Zeiten, da der Kapitalismus nicht mal mehr nach seinen eigenen Kriterien richtig funktioniert, wird es höchste Zeit, sich mal anzuschauen und auszuprobieren, wie andere Formen der Vergesellschaftung aussehen könnten. Umsonstläden sind zum Beispiel ein Bestandteil einer solchen Alternative, und die gibt es in vielen Städten3. Ein solches Projekt gibt es auch in Göttingen schon seit Jahren: Der Umsonstladen im Jugendzentrum Innenstadt (Juzi).

Hinbringen und mitnehmen statt tauschen

In einem Umsonstladen kannst Du alle Sachen, die dort herumliegen, umsonst mitnehmen. Und Du kannst Dinge, die Du nicht mehr brauchst, die aber noch nutzbar und funktionstüchtig sind, dort hinbringen, damit andere die Möglichkeit haben, sie umsonst mitzunehmen. Dadurch erhöhen sich die Handlungsspielräume all derer, die den Umsonstladen nutzen: Du hast weniger Krempel zu Hause rumstehen und kannst gleichzeitig auf einen wesentlich größeren Pool an Dingen zugreifen. Für Dinge, die nicht in den Umsonstladen passen, gibt es ein schwarzes Brett, an dem größere Dinge angeboten werden können.

Mitnehmen kann jede*R alle dort hingebrachten Gegenstände, die er*sie möchte. Es gibt keine Beschränkung wie viel jemand nehmen darf und dies ist auch nicht daran gekoppelt, ob man selbst etwas mitgebracht hat.

Wozu das Alles?

Weil die Art und Weise, wie wir Dinge unter uns verteilen, ziemlich beschränkt ist (siehe oben). Menschen kriegen etwa nützliche Gegenstände nicht einfach so, weil sie sie benötigen, sondern müssen dafür Geld bezahlen. Um das erstmal zu bekommen, müssen Menschen – wenn sie nicht zufällig reich geerbt haben – ihre Arbeitskraft an andere verkaufen. Ihre Arbeitszeit verbringen sie dann damit, Dinge zu dem einzigen Zweck zu produzieren, dass damit Gewinne erwirtschaftet werden können – und nicht etwa mit dem angeblichen Hauptzweck, die Bedürfnisse von Menschen zu befriedigen. Selbst wenn sie was sinnvolles machen wollen, dann können sie das nur, wenn sich das gewinnbringend machen können oder es sich eben "finanzieren" lässt. Dafür kriegen sie Geld, mit dem sie dann Waren kaufen, und wenn sie die dann einmal gekauft haben, gehören sie ihnen – und liegen oftmals ungenutzt im Schrank herum.

Obwohl immer mehr Dinge produziert werden können, können sich aber immer weniger diese leisten – nicht zuletzt deswegen, weil ihre Arbeitskraft nicht mehr benötigt wird. Statt aber allen die Dinge dann einfach so zur Verfügung zu stellen, wenn dafür keine Arbeit mehr nötig ist, bekommen immer weniger etwas ab von immer größerem stofflichen Reichtum.

Der Umsonstladen bietet die Möglichkeit, dieses bornierte Prinzip von Tausch und Eigentum anzuknacksen. Wenn alle ihre Isomatte, die ohnehin nur Platz im Zimmer wegnimmt, in den Umsonstladen bringen würden und sich immer dann, wenn sie mal eine brauchen, sie aus dem Laden holen, dann haben alle immer Zugriff auf eine Isomatte - auch die, die sich gerade keine leisten können.

Das ist ein anspruchsvolles Unterfangen: Es setzt voraus, dass sich alle anderen ebenfalls ihre Isomatte in den Umsonstladen bringen. Es setzt voraus, dass sie nach dem Wochenendtrip nicht vergessen, sie zurückzubringen. Und es setzt nicht zuletzt voraus, dass wir selber den uns über Jahre antrainierten Zwang, Eigentum wie einen Augapfel zu behüten, überwinden. Aber genau um solche Dinge zu verlernen, die nur im Kapitalismus Sinn machen, ist ein Umsonstladen wichtig.

Damit gibt es noch keine neue Gesellschaft und der oben beschriebene Irrsinn ist noch lange nicht abgeschafft – so einfach geht das dann doch nicht. Dinge müssen schließlich auch irgendwo hergestellt werden und um alles zusammen zu kriegen, was man zum Leben braucht, reicht ein kleiner Umsonstladen noch lange nicht aus. Aber Räume wie der Umsonstladen können ein Teil einer größeren antikapitalistischen Transformationsbewegung sein, in der wir uns gemeinsam unsere Lebensumwelt aneignen. Umso mehr Leute ihre Dinge zur Verfügung stellen, umso mehr Leute ein anderes Miteinander auszuprobieren bereit sind – umso umfangreicher und besser kann auch das Angebot im Umsonstladen werden. Und wer weiß, vielleicht sind ja auch einmal genug Menschen dabei, die entscheiden könnten, sich zusammenzuschließen, um auch selbst was zu produzieren und anderen zur Verfügung zu stellen – wenn dafür Verlass darauf ist, dass sie selbst ebenso im Umsonstladen finden, was sie brauchen, klingt das gar nicht mehr so verrückt, wie es in einer Gesellschaft erscheint, in der man nichts geschenkt bekommt.

Wichtig ist aber ein Umsonstladen nicht nur, weil er ein erster Anfang ist, sich anders aufeinander zu beziehen denn als tauschende Warenbesitzer*Innen: Schließlich sind wir alle als solche aufgewachsen und müssten für eine andere Gesellschaft erst einmal verlernen, was diese so alles nicht braucht: Die Vorstellung, dass jemand einen ausnützt, wenn man ihm*ihr etwas gibt, ohne etwas zurück zu bekommen. Oder auch das flaue Gefühl im Magen, wenn man selbst etwas nimmt, aber gerade nichts zu geben hat. Die Angst in Freiheit Dinge weiterzugeben, statt alle zu zwingen immer etwas zu geben, wenn sie sich etwas nehmen – eben weil es in einer Gesellschaft, in der dieser Zwang existiert, niemand sonst freiwillig tun würde. Usw. All dies muss verlernt, und ein anderer freierer Umgang miteinander erst einmal ausprobiert und eingeübt werden, bevor wirklich alles anders werden könnte.

So funktionierts...

Der Umsonstladen in Göttingen hat keine Angestellten oder Verkäufer*Innen. Verkäufer*Innen braucht es in einer Gesellschaft, die nicht auf Tausch und Geld basiert auch gar nicht mehr – eine der vielen unspaßigen Arbeiten, die einfach wegfallen würden. Aber aufgeräumt und sortiert werden muss er natürlich trotzdem.

Deshalb achtet beim Nutzen des Ladens darauf, dass ihr ihn so hinterlasst, wie ihr ihn gerne betreten wollt. Wenn ihr etwa Dinge vorbei bringt, denkt z.B. an Folgendes: Der Umsonstladen ist keine Müllhalde – kaputte Dinge will niemand haben, und brauchen also auch gar nicht erst dort abgestellt zu werden. Wenn ihr etwa Kleidung vorbei bringt, wascht sie vorher und achtet darauf, dass nicht etwa so etwas wie einzelne Socken dort landen – diese Dinge wird kaum jemand wieder mitnehmen. Die Sortierung der Regale dient dazu, dass man schnell findet, was man sucht – also stellt eure Dinge dort hin, wo man sie vermutet.

Wenn ihr die vielen Dinge durchsucht, die im Laden herumliegen, achtet bitte darauf, sie ordentlich wieder zurück zu legen, wenn ihr sie nicht mitnehmt. Das erhält die Übersichtlichkeit auch für andere, die etwas suchen.

Wenn sich an diese Kleinigkeiten gehalten wird, kann eigentlich im Alltagsbetrieb nichts schief gehen. Weil aber doch manchmal größerer Aufräumbedarf besteht oder über neue Regale oder Ähnliches sich Gedanken gemacht werden muss, ist es sinnvoll, wenn sich Nutzer*Innen zu einer Umsonstladen-Gruppe zusammenschließen, die ein wenig darauf achten, dass der Umsonstladen nutzbar bleibt.

Gibt es eine Umsonstladen-Gruppe?

Bis vor kurzem gab es eine, zur Zeit leider nicht. Aber so ein Umsonstladen funktioniert wesentlich besser, wenn es eine solche CareGroup gibt - also eine Gruppe, die von Zeit zu Zeit mal durchfegt, die Sachen sortiert, Ladenhüter wegschmeißt, Öffentlichkeitsarbeit macht und dergleichen mehr. So eine Gruppe könnte aber wieder entstehen. Wenn du Interesse hast dich zu beteiligen, komm doch einfach am Do, 29.11.2009 Um 17:00 Uhr im Umsonstladen vorbei oder schreib uns eine Mail an email-address.

Nichts wie hin und zugreifen!

Ja, warum also nicht mal vorbeischauen?

Der Umsonstladen Göttingen befindet sich im 1. Stock des Jugendzentrum Innenstadt (JuZI) in der Bürgerstr 42. Er ist immer während er Öffnungszeiten der Cafés und des Infoladens geöffnet:

Dienstag 19.30 Uhr bis 21.00 Uhr

Mittwoch 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr

Donnerstag 16.00 Uhr bis 20.00 Uhr

Gruppe 180°


1) (1) Nachlesen, wie das genau funktioniert kann man z.B. hier: „Money makes the world go round - Reflektion über kapitalistischen Reichtum“, oder direkt in Karl Marx: Das Kapital Bd. 1

2) Siehe „NutzerInnen-Gemeinschaften: Mit Schick, Chance und Methode“ aus Zusammenhang #20

3) Eine Übersicht gibts auf http://www.umsonstladen.de/


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Erschienen am: 02.10.2009 zuletzt aktualisiert: 03.11.2010 17:06 AutorIn: email-address