Transformatorische Praxis (Veranstaltungsreihe)
Jenseits von Traditionsmarxismus, falscher Kritik und Romantisierung
Kritische Gesellschaftstheorie ist traditionell sehr stark darin, die bestehende Gesellschaft zu kritisieren. Sie tut sich jedoch ebenso traditionell eher schwer damit, die Frage nach dem "wie" einer grundlegenden emanzipatorischen Veränderung der Gesellschaft zu beantworten. Viele Antworten des klassischen Marxismus der 1. und 2. Internationale vermögen heute nicht mehr zu überzeugen, darüber hinaus herrscht jedoch oft ein großes Schweigen im Walde.
Sicherlich ist es richtig, das es schwierig ist, sich eine Utopie en detail auszumalen, nicht zuletzt deshalb, weil wir möglicherweise zu sehr im Bestehenden befangen sind, um die emanzipatorische Gegenwelt tatsächlich denken zu können. Daher kann es auch nicht darum gehen eine Skizze einer freien Welt zu entwerfen, sondern erste Schritte zur Abwicklung der herrschenden Gesellschaft zu antizipieren.
In den letzten Jahren gab es eine Reihe Versuche, die prozesshafte Aufhebung des Kapitalismus mit dem Begriff der Transformation zu beschreiben. Mit dem Fokus auf die Prozesshaftigkeit solcher Versuche grenzt sich dieser Ansatz von klassischen Konzepten einer Überwindung des Kapitalismus ab, die darunter die einmalige politische Übernahme der Staatsmacht verstehen. Hier wird an die Erkenntnis angeknüpft, dass der Kapitalismus unsere sozialen Beziehungen und unser Welterleben in großem Maße prägt. In der Tradition emanzipatorischer Befreiungskämpfe bezeichnen einige Ansätze diesen Prozess nach wie vor als Revolution, andere ziehen den Begriff der „Transformation“ vor.
Bei Fragen oder Anregungen meldet euch gerne unter .
„Zur Dialektik der Fetischkritik“
Roswitha Scholz, Exit!, 4.12., 16 Uhr, ZHG 1.141
Die Wandlungen der Fetischimuskritik im Zuge gesellschaftlicher Transformationsprozesse und die Aufgaben der Wert-Abspaltungskritik. War Fetischismus-Kritik einstmals bestimmt von Hinterzimmer-Existenzen, so gibt es sie heute in den verschiedensten Farben und Formen. Sie ist nicht bloß in den linken Diskurs eingesickert, sondern beschäftigt selbst bürgerliche Kreise. Dabei gerät sie immer mehr in die Gefahr, Bestandteil der Krisenverwaltung zu werden.
Stattdessen ginge es darum, Distanz zur eigenen Theoriegeschichte zu gewinnen, auf einer Dialektik der Fetischkritik zu bestehen und kompromisslos in der Einsicht der Notwendigkeit eines „kategorialen Bruchs“ (Robert Kurz) „abgehoben“ zu intervenieren.
Einfachen Lösungen im Sinne einer heruntergebrochen Wert-Abspaltungskritik sowohl im Kontext wissenschaftlicher Verarbeitung, als auch in Form von praktischen Pseudo-Konzepten, gilt es somit mit Misstrauen zu begegnen.
Anti-Macht, Gegenmacht, konstituierende Macht? Strategien sozialer Bewegungen zwischen anti-institutionellem Widerstand und dem Einsickern in die Staatsapparate
Daniel, Fels, Arranca!, 8.1., 18 Uhr, ZHG 004
Das Aufkommen des neuen globalen Bewegungszyklus seit 2011, die damit verbundenen Kämpfe und (Nicht-)Verschiebungen der Kräfteverhältnisse haben den strategischen Debatten innerhalb der radikalen Linken einen neuen Impuls verliehen und lassen zugleich die Notwendigkeit erkennen, bisherige Konzepte gesellschaftlicher Transformation neu zu überdenken. Hatte der zapatistisch und aus den argentinischen Erfahrungen Anfang des 21. Jahrhunderts inspirierte Slogan „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ (John Holloway) in der globalisierungskritischen „Bewegung der Bewegungen“ eine gewisse Popularität erlangt, so ist dieses Paradigma auf die jüngsten europäischen und us-amerikanischen Erfahrung kaum plausibel übertrag- und anwendbar. Das Problem scheint hier vielmehr das Abprallen der Bewegungen an den Institutionen zu sein, die sich gegen die popularen Bewegungen abschotten und ihren Einfluss blockieren. Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung der Partei Podemos zu interpretieren, die ihre Strategie auf einen neuen konstituierenden Prozess ausrichtet. - Wie lassen sich die verschiedenen Konzepte der Anti-Macht, Gegenmacht und konstituierenden Macht zueinander in Verbindung setzen? Worin unterscheiden sie sich signifikant und worin besteht ihre strategische Differenz? Und: Inwiefern helfen sie uns, die gesellschaftlichen Prozesse und ihre transformatorischen Potenziale im gegenwärtigen Zeitalter der Aufstände zu erfassen und einzuschätzen?
Zur Aktualität der Transformation
Alex Demirovic, Prokla, 13.1., 18 Uhr, ZHG 104
Neben Reform und Revolution hat die Linke ein weiteres Grundlagenkonzept, das Veränderungsprozesse in den Blick nimmt: Transformation. Dieser Begriff ist bislang noch zu wenig durchdacht. Angesichts der multiplen Krise, die seit 2008 von einer großen Wirtschafts- und Finanzkrise bestimmt und überformt wird, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten nach Veränderungen, die hier und jetzt eingreifen, aber die Probleme, die sich krisenhaft in der kapitalistischen Gesellschaft immer weiter anhäufen, auch lösen.
„Die Abwicklung des Kapitalismus – Emanzipation im Krisenzeitalter“
Ernst Lohoff, Gruppe Krisis, 29.1., 18 Uhr, ZHG ??
Nicht nur der Kapitalismus steckt heute in einer fundamentalen Krise, sondern auch der Gedanke der Befreiung. Das neoliberale Glücksversprechen, das Ende des 20. Jahrhunderts noch das gesellschaftliche Klima prägte, hat sich zwar gründlich blamiert, das kommt aber in erster Linie reaktionäre Kräfte, die rassistische, kulturalistische oder religionistisch Neogemeinschaftsideologien propagieren. Gerade angesichts der Krise durchdringt der Zwangs als isoliertes Konkurrenzsubjekt funktionieren zu müssen, das Alltagsleben mehr denn je und droht jede kollektiven emanzipatorische Praxis schon im Ansatz zu ersticken. Die aus der Aufstiegsgeschichte der Warengesellschaft überkommenen Befreiungskonzepte, etwa das Klassenkampfdenken, taugen nicht für die historischen Aufgaben, vor denen eine antikapitalistische Bewegung heute steht. Sie liefern weder eine Antwort auf die Vielfachkrise des kapitalistischen Weltsystems noch bieten sie Orientierung im notwendigen Kampf um vom Konkurrenzirrsinn befreite Räume.
Hätte es noch eines Beweises bedurft, warum das emanzipative Ziel dringend neu bestimmt werden muss, der Protestzyklus, der nach dem Krisenschub 2009 viele Länder erfasste, hat ihn geliefert. Ob „arabischer Frühling“, oder die Protestbewegungen in Griechenland und der Ukraine, überall die gleiche ernüchternde Verlaufsform. Angesichts massiver Verschlechterung der Lebensbedingungen und angesichts einer autoritärer Krisenverwaltung flammten heftige Proteste auf, die aber wieder in sich zusammenfallen und in denen oft reaktionäre Strömungen die Oberhand gewinnen. Der emanzipative Impuls verpufft, weil die Protestbewegungen nicht darüber hinauskommen, Lösungen auf dem zerfallenden Boden von Wert, Arbeit und staatlicher Regulation zu suchen.
Zunächst einmal hat die Leitfrage der Aufstiegsphase des warenproduzierenden Weltsystems, die Frage der Verfügungsgewalt über den Warenreichtum und dessen Verteilung ausgedient. Der Standpunkt der Emanzipation ist heute vielmehr mit der Standpunkt der Parteinahme für den sinnlich-stofflichen Reichtums gegen dessen Zwangsverwandlung in Warenreichtum. Unter diesem Vorzeichen geführt, verschmelzen der Kampf gegen die ökologische Zerstörung und der Kampf gegen wirtschaftliche Verelendung, die heute in Widerspruch zueinander zu stehen scheinen, zu einem Kampf. Und auch die Frage des Verhältnisses von Emanzipation auf der einen Seite und Politik und Staatlichkeit auf der anderen Seite ist neu zu denken. Das Zeitalter des Staates als „ideellen Gesamtkapitalisten“, der zugleich die Existenzbedingungen der Menschen sichert, ist längst im Auslaufen begriffen. Im Krisenzeitalter verschmelzen entweder Staat und Wirtschaft zu einem politisch-ökonomischen Komplex, der nur das Überleben von Verwertungsinseln organisiert oder es kommt zu einer emanzipativen Rücknahme des Staates in die Gesellschaft.